Marlin Schmid, 28, ist Polymechaniker. Er fährt täglich mit dem Velo zur Arbeit und steht mit beiden Beinen im Leben. Das sah vor ein paar Jahren anders aus. Eine abgebrochene Lehre lag hinter ihm, als er durch die Vermittlung eines IV-Berater zu Brüggli kam. Marlin Schmid wies ein ausgeprägtes Asperger-Syndrom auf: Er lebte sehr zurückgezogen, konnte sich nur schwer in ein Team integrieren und war extrem introvertiert. «Zugang zu ihm zu finden, war eine grosse Herausforderung», erinnert sich Jobcoach Michael Graupner. Bei Brüggli Industrie startete Marlin Schmid eine Ausbildung zum Polymechaniker. Schon bald kamen sein technisches Verständnis, sein Interesse für das Programmieren komplexer Maschinen und sein Ehrgeiz zum Vorschein. Eine Kombination, die Erfolg verspricht, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Unterstützt von Brüggli hat die Gehring Cut AG in Matzingen mit einem Ausbildungsplatz dazu beigetragen.

«Mit der Integration gewinnen wir immer wieder sehr zuverlässige und treue Mitarbeitende.»

Vor Kurzem hat Marlin Schmid die Polymechaniker-Lehre abgeschlossen – als Kantonsbester mit einer Note von 5.4 – und nun in eine unbefristete Anstellung gewechselt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Gehring Cut Hand zur Integration von Lernenden von Brüggli bietet. Philippe Crottet, Abteilungsleiter Dreherei, ist überzeugt, dass beide Seiten davon profitieren: «Mit der Integration gewinnen wir immer wieder sehr zuverlässige und treue Mitarbeitende.» Dafür gibt es gute Beispiele von langjährigen Angestellten, deren Weg ebenfalls via Brüggli zu Gehring Cut geführt haben und die mittlerweile verantwortungsvolle Aufgaben, mitunter auch Führungsaufgaben, übernehmen.

Eine erfolgreiche Integration ist nur möglich, wenn es für beide Seiten passt. Davon ist Philippe Crottet überzeugt. Ein Praktikum bietet den idealen Rahmen, um das herauszufinden. Beim Probearbeiten konnte Marlin Schmid sein bisher erworbenes Wissen anwenden und Betriebsluft ausserhalb von Brüggli schnuppern. «Seine fachliche Kompetenz hat uns sofort überzeugt», so der Abteilungsleiter. Die Gehring Cut fertigt Medizialprodukte; die Erwartungen an die Herstellung sind hoch: Wenn es um Qualität und Terminvereinbarungen geht, gibt es keine Kompromisse. Nicht jeder kann mit diesem Druck umgehen. Marlin Schmid haben diese Herausforderungen von Anfang an zugesagt – mit der Zeit habe er sich bei Brüggli etwas unterfordert gefühlt. «Auch das Umfeld bei der Gehring Cut hat sehr gut gepasst», sagt der 28-Jährige.

«Seine fachliche Kompetenz hat uns sofort überzeugt.»

Mittlerweile hat Marlin Schmid in ein anderes Team gewechselt. Er programmiert nun eine grössere CNC-Drehmaschine. «Programmieren ist das, was ich am liebsten mache», sagt er. Auch Schichtarbeit ist nun – nach abgeschlossener Ausbildung – endlich erlaubt. «Ich schlafe morgens gerne etwas länger. Die spätere Schicht kommt mir deshalb entgegen», sagt Marlin Schmid. Durch die täglichen Übergaben erfordert die Schichtarbeit ein höheres Mass an Kommunikation. Stellt das ein Problem dar? Marlin Schmid verneint: «Ich notiere alles sauber und strukturiert auf ein Blatt und übergebe es so.»

An der Vollständigkeit der Informationen besteht kein Zweifel. Die sachliche Ebene ist bei Menschen mit Autismus sehr ausgeprägt, auch der Hang zum Detail. Marlin Schmid arbeitet sehr fokussiert, hinterfragt Abläufe, erkennt Verbesserungspotenzial und macht Vorschläge für Optimierungen. Dafür gibt es viel Lob von seinen Vorgesetzten.

«Die Kommunikation ist ein ständiges Herantasten und braucht Fingerspitzengefühl.»

Für die Arbeit mit technisch hochkomplexen Maschinen ist die ausgeprägte Sachlichkeit und Detailtreue ein Glücksfall. Auf der zwischenmenschlichen Ebene hingegen ist sie eine Herausforderung. Das Fehlen von Indikatoren, die Aufschluss über die Gefühlswelt eines Menschen geben, verunsichert. «Die Kommunikation ist ein ständiges Herantasten und braucht Fingerspitzengefühl», sagt der wortgewandte Jahiu Shemsedin, Marlins Schmids Fachvorgesetzter während der Lehrzeit. Mit der Zeit habe sich Marlin aber etwas mehr geöffnet, stelle häufiger Fragen und sei auch flexibler geworden. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn Menschen mit Autismus brauchen klare Strukturen und Abläufe. Früher habe Marlin die Arbeit pünktlich um 17 Uhr niedergelegt, heute beende er angefangene Arbeitsschritte, erzählt sein Lehrbegleiter.

«Ohne Brüggli wäre ich heute nicht da, wo ich bin.»

Im Betrieb geniesst Marlin Schmid nicht zuletzt auch dank seiner fachlichen Fähigkeiten grossen Respekt. Natürlich lösen gewisse seiner Verhaltensweisen auch Verwunderung aus. In diesen Fällen klärt Jahiu Shemsedin auf und schafft Verständnis. Eine Sonderbehandlung ist jedoch nicht nötig; Marlin Schmid ist vollständig integriert. Und nicht nur das: Auch privat steht er auf eigenen Beinen. Seinen Haushalt führt er mittlerweile ohne fremde Hilfe.
Gibt es etwas, das Marlin Schmid speziell erwähnen möchte? Er wisse nicht, ob es angebracht sei: «Ich möchte Brüggli danken. Ohne Brüggli wäre ich heute nicht da, wo ich bin.»

Sarina Neuhauser

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