Jonas Bieler kam mit der Diagnose Asperger zu Brüggli. Fünf Jahre später hat er eine 50%-Arbeitsstelle, wo er vorbildlich integriert ist. Geduld, Flexibilität und das Zusammenwirken aller Beteiligter haben es möglich gemacht.

Das Asperger-Syndrom und eine Massnahme der IV haben Jonas Bieler 2013 zu Brüggli gebracht. Er war ein eigensinniger junger Mann, sehr zurückhaltend, in sich gekehrt, der von Chur nach Romanshorn pendelte, um bei Brüggli herauszufinden, welche Wege sich für ihn anbieten könnten. Wer die Welt in Schubladen packt, konnte im damals 20-Jährigen einen Asperger oder Autisten sehen, wie er im Lehrbuch nicht besser beschrieben werden könnte.


Heute, fünf Jahre später, arbeitet Jonas Bieler auf dem Personalamt der kantonalen Verwaltung in Chur. Er scannt Arbeitsverträge, Personalberichte und andere Dokumente und verwaltet sie in einem elektronischen System. Ausserdem ist er ein gefragter Mann, wenn jemand mit einer Power-Point-Fusszeile hadert oder sich an einzelnen Word- und Excel-Funktionen die Zähne ausbeisst. Seine Akribie hilft auch im Kampf gegen Rechtschreibefehler in Amtsdokumenten.

«Ich bin zufrieden, es gefällt mir sehr», sagt Jonas. Er habe eine Tätigkeit gefunden, die gut zu seinen Fähigkeiten passe. Und da wären auch noch die geografischen Gründe: Es ist sehr praktisch, nahe des Wohnortes arbeiten zu können. Das tägliche Pendeln zwischen Chur und Romanshorn vermisst er nicht.

«Jonas taut immer mehr auf», sagt sein Arbeitgeber, «und kommt sehr gut zurecht.»

Selbständig, pflichtbewusst und komplett integriert im Team: So würdigt Roger Danuser, Leiter Personalmanagement und stellvertretender Amtsleiter des Personalamtes Graubünden, seinen Mitarbeiter. «Er taut immer mehr auf», sagt er, «und kommt sehr gut zurecht.» Für Autismus-Spezialist Florian Scherrer ist eine solche Entwicklung alles andere als selbstverständlich. Er wertet Jonas’ erfolgreiche Integration als Beispiel dafür, was möglich wird, wenn alle in dieselbe Richtung blicken. Dazu braucht es einen engagierten Arbeitgeber, eine umsichtige Begleitung und die Eigeninitiative des Klienten.


Von der Potenzialabklärung über einen Einsatz im Verkauf bis hin zur Integrationsmassnahme: Bei Brüggli hat Jonas gelernt, seine Fähigkeiten einzusetzen. Ulrich Klein, einer seiner Begleiter, vertraute ihm Übersetzungs- und Korrekturarbeiten an und liess ihn Präsenzlisten und Wochenprotokolle führen. «Es war viel Feingefühl nötig im Umgang mit Jonas Bieler», sagt er, «und das hat sich gelohnt.» Für Anita Pintarelli, Leiterin Bildung und Integration, bestand die Aufgabe besonders darin, Jonas Vertrauen zu vermitteln. «Wir haben uns für seine Kompetenzen interessiert und ihm die Gelegenheit gegeben, sich einzubringen. So lernte er, seine Fähigkeiten zu nutzen.» Durch das enge Miteinander und regelmässige Erfolgserlebnisse wuchs das Vertrauen: Jonas spürte, dass er gebraucht wird und dass sein waches Auge und sein Sinn fürs Detail Tugenden sind, auf die er bauen kann. Die Arbeit, die er hier verrichten konnte, war das ideale Training, um ihm den Einstieg ins Berufsleben zu ebnen.

Bei Brüggli konnte Jonas seine Talente trainieren und Praxis-Erfahrung sammeln.

Brüggli und Florian Scherrer gestalteten den Übergang Schritt um Schritt und arbeiteten dabei eng mit der Stiftung Profil von Pro Infirmis Schweiz zusammen; sie übernimmt die Langzeitbegleitung. Mit einer Nischenstelle war Jonas jedoch nicht zufrieden. «Ich wollte etwas Richtiges», sagt er, etwas, wo ihm auch sein Handelsdiplom nützen würde. Es ist ein Glücksfall, dass sich mit dem Personalamt der kantonalen Verwaltung in Chur ein Arbeitgeber finden liess, der Jonas’ Talente sieht und für den es überdies eine Selbstverständlichkeit ist, zu solchen Einsätzen Hand zu bieten. «Wir machen das regelmässig», sagt Roger Danuser. Darum habe auch das Team keinerlei Berührungsängste.

Es war viel Geduld nötig, besonders auch von Jonas selbst.

«Brüggli hat mir genützt», sagt Jonas Bieler, «weil ich immer gute Arbeiten hatte, mit Rücksicht auf meine Situation.» Nun reicht sein Blick weit nach vorn: Er wolle sein Arbeitspensum von heute 50 % auf 70 bis 80 % erhöhen und eine Weiterbildung zum Betriebswirtschafter HF machen. Für Kreuzfahrten, das Cello-Spiel und Veloausflüge nach Landquart oder Bonaduz soll auch in Zukunft Zeit bleiben. Ein weiterer Schritt, der für den 25-Jährigen dereinst anstehen könnte: der Auszug aus Hotel Mama – aber eins nach dem andern.


Jonas› Tipps im Umgang mit Autisten

  • Sag es eindeutig. Verwende klare Worte, ohne Ironie, die missverstanden werden könnte. Beispiel: «Frierst Du auch, Jonas?» reicht nicht als Aufforderung, das Fenster im Büro zu schliessen. Besser: «Jonas, bitte schliesse das Fenster.» Also keine Botschaften zwischen den Zeilen, sondern direkte Worte.
  • Gib mir Zeit. Lass einem Betroffenen Zeit, damit er genau überlegen kann, was mit Deiner Frage gemeint ist und wie er sie beantworten kann.
  • Halte Wort. Versprich nur, was Du wirklich halten kannst. Betroffene sind diesbezüglich sehr akribisch. Es kann sein, dass sie auf Details achten, die für Dich nicht weiter von Belang sind.
  • Setze Hilfsmittel ein. Ein Plan, eine Zeichnung, ein Foto können helfen, um Zusammenhänge einfach zu vermitteln.
  • Sei behutsam bei Veränderungen. Betroffene reagieren oft empfindlich auf Neuerungen. Es hilft ihnen, wenn man sie mit klaren Worten und Veranschaulichungen auf Veränderungen vorbereitet.

Asperger, was ist das?

Das Asperger-Syndrom ist eine Form von Autismus. Betroffene fallen häufig durch überdurchschnittliche Intelligenz auf. Sie sind fähig, kleinste Details zu erkennen und sich für gewisse Themen in einem für Aussenstehende verblüffenden oder irritierenden Mass zu interessieren. Eine ausgeprägte Kontakt- und Kommunikationsstörung ist ebenso ein Merkmal wie das ausgeprägte Bedürfnis, detaillierte Infos zu erhalten, bevor Neues eintritt. Die Organisation Autismus Schweiz führt diese Merkmale als typisch an:

  • Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens
  • Sprach- und Sprechauffälligkeiten
  • Auffälligkeiten in der nonverbalen Kommunikation
  • Ausgeprägte Interessen, die viel Zeit beanspruchen, repetitiv ausgeübt werden und oft einen eher technischen Charakter haben
  • Schwierigkeiten, sich auf Neues einzustellen
  • Oft auch: überempfindliche Reaktion auf grelles Licht, spezielle Geräusche, Gerüche oder Berührungen

Michael Haller

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