Tatjana und Norbert Mahr bringen mit ihrem Wiener Kaffeehaus Franzl wienerische Herzlichkeit nach Romanshorn. Dass Brüggli sie als Partner sieht, war ihnen gar nicht recht bewusst. Sie empfinden die Verbindung vielmehr als gute Freundschaft.

Wie ist die Freundschaft mit Brüggli, insbesondere der Gastronomie Usblick entstanden?
Tatjana Mahr: Bis vor kurzem war Brügglis Arbeitsassistenz direkt nebenan eingemietet. Die Mitarbeitenden kamen regelmässig bei uns zu Mittag essen. Josef Koch, Chef de Service im Usblick, wurde natürlich auch sehr schnell auf uns aufmerksam. Er ist ja unser Landsmann und war total begeistert, dass er bei uns seine heimischen Speisen serviert bekommt. Durch ihn sind wir auch erst richtig auf die Gastronomie Usblick aufmerksam geworden. Wir wussten, da ist etwas, aber wir dachten es sei ausschliesslich eine Betriebskantine. Josef hat richtig Werbung gemacht. Nun gehen wir regelmässig im Usblick zu Mittag essen und geniessen es richtig. Die Usblick-Mitarbeitenden verströmen eine absolute Herzlichkeit. Ich finde, das sollte jeder Mensch mal sehen und erleben.
Norbert Mahr: Josef hat uns dann mal gefragt, ob wir nicht jemandem eine Chance geben möchten. Wir wussten damals gar nicht, dass die Lernenden im Usblick während ihrer Ausbildung ein externes Praktikum machen müssen. Uns war sofort klar: Da können wir nur ja sagen.

«Das Gastgewerbe ist eine super Plattform für die Integration.»

Was waren Ihre Beweggründe?
Norbert Mahr: Ich finde, man muss dankbar sein, dass es Unternehmen wie Brüggli gibt. Schön, wenn man da mithelfen kann. Jeder Mensch sollte eine Chance bekommen, egal, woher er kommt und was er mitbringt. Wir nehmen die Menschen, wie sie sind.
Tatjana Mahr: Genau, Mensch ist Mensch.
Norbert Mahr: Tatjana und ich haben keine Kinder. Wenn wir Leute bei uns aufnehmen, haben wir die Möglichkeit, jemandem etwas zurückzugeben. Wir können unsere Erfahrung teilen und im besten Fall dazu beitragen, dass die Leute den Weg in den Arbeitsmarkt schaffen oder auch einfach nur auf ihren Weg zurückfinden.
Tatjana Mahr: Das Gastgewerbe ist eine super Plattform für die Integration. Man kann ganz langsam im Hintergrund anfangen. Da darf man auch Fehler machen, denn daraus lernt man ja. Zuerst leistet man Zuarbeit und irgendwann steht man vorne und bedient den Gast. Alles schön in kleinen Schritten.


Welche Erfahrungen haben Sie als Integrationspartner bereits gemacht?
Norbert Mahr: Am Anfang ist es für einen Praktikanten aus dem Usblick sicher etwas ungewohnt, bei uns zu arbeiten. Im freien Arbeitsmarkt herrschen andere Spielregeln als bei Brüggli. Aber das legt sich schnell. Wie sind hier wie eine Familie. Das hilft sicher beim Einleben. Es ist schön zu sehen, wie jemand aufblüht und mit Freude auf die Gäste zugeht.
Tatjana Mahr: Es ist immer ein gegenseitiger Austausch. Wir hatten in unserem Arbeitsleben mit vielen verschiedenen Menschen zu tun und konnten viel Erfahrung sammeln. Das können wir jetzt einfliessen lassen und weitergeben. Wir lernen aber auch immer noch dazu.
Norbert Mahr: Ja, manchmal ist es ganz spannend, wie jemand vom Usblick einen Auftrag erledigt. Die Menschen dort haben vielleicht ihre Schwierigkeiten, aber sie sind ehrlich und herzlich und nicht so verblendet wie manch einer im ersten Arbeitsmarkt. Sie erhalten einen Auftrag und machen einfach – und es funktioniert. Manchmal bin ich echt erstaunt über den gewählten Weg zum Ziel. Da kann man auch für sich was lernen.

Tatjana und Norbert Mahr bringen Wiener Kaffeehaus-Kultur nach Romanshorn.

Sind die Gastronomie Usblick und das Wiener Kaffeehaus Franzl strenggenommen nicht Konkurrenten?
Tatjana Mahr: Wie bitte? Das kann man nun also wirklich nicht sagen.
Norbert Mahr: Wir sehen keine Konkurrenz. Wir sehen Partnerschaft, Freundschaft und Austausch. Keiner ist dem anderen etwas neidig. Und ich sage immer: Jeder bekommt die Kunden, die er verdient.
Tatjana Mahr: Wir haben ja auch unterschiedliche Konzepte. Bei uns erhalten die Gäste ein ganz anderes Angebot als im Usblick.


Stimmt. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie in Romanshorn ein Wiener Kaffeehaus eröffneten?
Tatjana Mahr: Wir sind wegen Norberts Job in die Schweiz gekommen. Er hat im Handel gearbeitet. Für mich war das kein Problem. Als ausgebildete Friseurin kann ich überall arbeiten.
Norbert Mahr: Im Handel geht es eigentlich immer nur um Zahlen. Irgendwann habe ich mich gefragt: Ist es das?
Tatjana Mahr: Plötzlich meinte er: Ach, so ein Kaffeehaus wäre doch nett. Darauf erstellte er ein Konzept, das tatsächlich schnell Form annahm. Norbert ist ja eigentlich gelernter Konditor wie sein Vater. Darauf hat er aber nie gross gearbeitet, weil er eine Karriere als Berufssportler anstrebte und dies auch mehrere Jahre durchzog, ehe er in den Handel wechselte.
Norbert Mahr: Mein Grossvater war – wie Grossväter eben sind – sehr weise und hat mir gesagt, ich sollte doch noch was anderes lernen, damit ich was habe, falls ich mich im Sport mal verletze. Die Konditor-Lehre zahlt sich jetzt aus.
Tatjana Mahr: Bei einem Spaziergang in Romanshorn sind wir an diesem Lokal hier vorbeigelaufen und wir wussten: Das ist es. Und so war das Franzl geboren.

«Es ist schön, wenn die Gäste sagen: Das erinnert mich an Wien.»

Und dann sind Sie auch gleich das erste internationale Mitglied im Klub der Wiener Kaffeesieder geworden, welcher ein immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO ist.
Tatjana Mahr: Den Klub gibt es eigentlich nur in Wien. Da geht es ja um die Wiener Kaffeehaus-Tradition. Aber wir haben uns gesagt: Wir wollen das wienerischste Kaffeehaus ausserhalb Wiens sein und haben uns beim Klub gemeldet. Da wir sämtliche Kriterien erfüllen, wurden wir als erstes internationales Mitglied aufgenommen. Zu den Kriterien gehört unter anderem natürlich das Angebot an typisch österreichischen Speisen und Getränken, aber auch das richtige Flair. Einrichtung und Ambiente sollten mit dem Kulturerbe des Wiener Kaffeehauses übereinstimmen: der «Schanigarten», ein Wiener Zeitungshalter aus Buchenholz, wenn möglich ein Klavier für Musikveranstaltungen, um nur ein paar Dinge zu nennen.
Norbert Mahr: Wiener Kaffeehäuser sind etwas ganz Besonderes. Sie sind Tradition und Kultur – und weltweit bekannt. Hier entstehen seit jeher Geschichten. Viele Künstler nutzen die Kaffeehäuser noch heute als Ort der Inspiration und schreiben dort ihre Lieder und Bücher. Ausserdem kann man im Kaffeehaus nicht laut werden, weshalb hier auch viele Firmengespräche stattfinden und Verträge ausgehandelt werden.


Diese Wiener Tradition und Kultur machen Sie im Franzl erlebbar. Wie reagieren die Gäste darauf?
Tatjana Mahr: Wir erhalten viele schöne Rückmeldungen. Letztens hat ein Pärchen seine Goldene Hochzeit bei uns gefeiert, weil sie damals ihre Hochzeitsreise in Wien machten. Jetzt, 50 Jahre später, haben sie Wien noch einmal erlebt – und das, ohne extra hinfahren zu müssen.
Norbert Mahr: Die Gäste sagen, dass unser Kaffeehaus und die Gefühle, die sie hier empfinden, sie an ihren Besuch in Wien erinnert. Das ist das schönste Kompliment.
Tatjana Mahr: Schön ist auch, dass sich die Leute hier wohl und willkommen fühlen, auch wenn sie nicht die grossen Konsumierer sind. Ich sage immer, wir sind das Wohnzimmer von Romanshorn.
Norbert Mahr: In Bezug auf diese Wiener Gemütlichkeit mussten wir die Schweizer allerdings etwas erziehen. Ich habe festgestellt, dass die Gäste hierzulande weniger lang verweilen. Auf Seite der Gastronomiebetriebe wird es zum Teil auch nicht gern gesehen, wenn jemand stundenlang sitzenbleibt und nur einen einzigen Kaffee trinkt. Da haben wir Wiener wohl eine andere Mentalität. Bei uns darf sich jeder für seinen Kaffee so viel Zeit lassen, wie er möchte.

Frau Mahr, Herr Mahr, vielen Dank für das Gespräch und die gute Zusammenarbeit. Weiterhin alles Gute und viel Erfolg Ihnen.


Wiener Kaffeehaus Franzl
Charakteristisch für ein Wiener Kaffeehaus ist nicht nur das besondere Ambiente, sondern auch der «Wiener Schmäh» und die einzigartig gelebte Kaffeehauskultur. Genau das erwartet einen im waschechten Wiener Kaffeehaus Franzl an der Rütistrasse 2 in Romanshorn. Das Franzl ist ein echtes Überraschungspaket: Von aussen ist es eher unscheinbar, doch schon während man die einladende Treppe zum Eingang hochsteigt, erahnt man die Wiener Herzlichkeit, die einem gleich entgegenströmen wird. Die gebürtigen Wiener Tatjana und Norbert Mahr sorgen seit der Eröffnung des Kaffeehauses im Oktober 2016 für ein authentisches Stück Wiener Lebensgefühl in Romanshorn. Mehr Infos unter www.wienerkaffeefranzl.com

Larissa Herzog

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