Bernhard Zehnder weiss fast alles, was es über die Wikinger zu wissen gibt. Mit Helm, Schild und Tunika geht er regelmässig zu Mittelalter-Veranstaltungen.

Dumpfes Trommeln. Gedämpfte Schreie. Wellen krachen gegen die Klippen. Ein Schiff taucht aus dem Nebel auf. Gross und bedrohlich. Unzählige Männer stehen am Bug. Hünen. Bärtige, furchteinflössende Männer, bereit für den Kampf. Das vor Wut verzerrte Gesicht mit Farbe beschmiert und auf dem Kopf ein Helm mit Hörnern, der dem Gegner das Blut in den Adern gefrieren lässt. «Nur eine Erfindung von Hollywood», relativiert Bernhard Zehnder. In Wirklichkeit gibt es keine Beweise dafür, dass Wikinger Hörner an ihren Helmen trugen. Bernhard ist es wichtig, dass die Geschichte der Wikinger authentisch erzählt wird.

Bernhard hat immer ein Wikinger-Taschenlexikon dabei.

Gut gerüstet

Seit seiner Schulzeit interessiert sich Bernhard für die Wikinger. Da sie in seiner Klasse nie behandelt wurde, hat er selbst recherchiert und sich einen enormen Wissensschatz über die Wikinger aufgebaut. Ein Taschenlexikon über die Geschichte, Mythen und Artefakte der nordischen Antike hat er immer bei sich. Zuhause hat er aber noch viel mehr Wikinger-Material. Neben Sachbüchern, Romanen und Magazinen besitzt Bernhard eine grosse Kiste mit Wikinger- und Mittelalter-Ausrüstungen — vom zwei Kilogramm schweren Stahlhelm über authentische Wollkleider und Lederrüstungen bis zum grossen, schön bemalten Schild. Und Waffen, wie ein echter Wikinger, oder? «Die wenigsten Wikinger hatten Schwerter. In erster Linie waren sie arme Bauern, und Waffen waren teuer», erklärt Bernhard. Er achtet darauf, dass er als Waffen hauptsächlich Utensilien nutzt, die Bauern im Mittelalter sowieso besassen, wie Beile und Hämmer, genauso wie es bei den Wikingern üblich war. Aber ein Sax, ein spezielles Schwert der Wikinger, besitzt Bernhard trotzdem. «Wenn ich mein Schwert trage, bin ich ein Gefolgschaftskrieger », sagt er schmunzelnd.

«Ich könnte mir nicht vorstellen, den ganzen Tag im Büro vor einem Bildschirm zu sitzen.»

Auf Fahrt in der Schweiz

Vieles von seiner Ausrüstung, wie den grossen blauen Schild mit den Wölfen, hat sich Bernhard auf einem Mittelaltermarkt gekauft. Solche Märkte und Mittelalterfeste finden in der Schweiz das ganze Jahr durch immer wieder statt. Und Bernhard trifft man dort an, wenn er nicht zu weit reisen muss. Seine Ausrüstung ist schwer und nicht einfach zu transportieren, vor allem nicht im Zug. Wenn Bernhard Zehnder mit seinem Schild am Arm, seinem Beil am Gürtel und seinem Helm auf dem Kopf den Stadtbus betritt, drehen sich die Leute nach ihm um und werfen ihm überraschte Blicke zu. Diese Blicke nimmt er gerne in Kauf für die bewundernden Blicke, die er an den Mittelalterveranstaltungen für seine authentische Ausrüstung erhält. Und dafür, dass er sich mit seinen Freunden über seine Leidenschaft unterhalten kann. An Mittelalterveranstaltungen fühlt sich Bernhard wie zuhause. Dort ist er nicht der einzige, der weiss, dass die Wikinger nicht einfach plündernde Barbaren waren und Thor viel mehr ist als bloss ein Marvel-Superheld. Er dufte auch schon mit einem Stamm an einem Umzug teilnehmen und so tun als würden sie einen Mittelaltermarkt überfallen. «In Formation rannten wir mit erhobenen Schilden, gezogenen Waffen und lautem Geschrei durch den Markt. Das war aufregend.»

Die Wikinger waren in erster Linie arme Bauern.

Wenn die Waffen ruhen

Wenn Bernhard nicht an Mittelalter-Veranstaltungen ist, kümmert er sich um Pflanzen und Gärten, genau wie die Wikinger, die sich als Bauern mit ihrer Ernte befassten, wenn sie nicht auf Fahrt waren. Bernhard hat im geschützten Rahmen eine Anlehre als Gärtner absolviert und kümmert sich seither beruflich um Pflanzen und Gärten. Seit sechs Jahren ist Bernhard bei Brüggli und stellt täglich sicher, dass Büsche, Sträucher, Pflanzen und Blumen genügend Wasser haben und nicht von Krankheiten befallen sind. «Ich bin gerne in der Natur und im Freien. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, den ganzen Tag im Büro vor einem Bildschirm zu sitzen», sagt er. Bernhard kümmert sich nicht nur um Pflanzen, sondern auch um Menschen. Er hat eine Ausbildung im Verkehrs- und Ordnungsdienst absolviert und sorgt bei Anlässen, die nichts mit dem Mittelalter zu tun haben, dafür, dass alles geordnet und gesittet vonstatten geht.

An Mittelalter-Veranstaltungen kann er sich mit Gleichgesinnten über seine Leidenschaft unterhalten.

Ein Wikingerstamm am See

Wegen Corona konnten lange keine Mittelalter-Veranstaltungen stattfinden. Als die Wikingermärkte langsam wieder stattfinden konnten, zog sich Bernhard eine Beinverletzung zu, als er bei der Arbeit von einer Leiter fiel und musste am Knie operiert werden. Den schweren Schild konnte er für eine längere Zeit nicht mit sich rumtragen. So musste seine Wikingerausrüstung in der Kiste bleiben. Doch das Warten hat bald ein Ende. Bernhard der Wikinger ist bereit, die Märkte wieder unsicher zu machen und sich bei einem Glas Met mit Freunden über längst vergangene Zeiten zu unterhalten. Zudem möchte er seine Wikinger-Sammlung durch weitere Rüstungen, Schilde oder Werkzeuge erweitern. Er träumt davon, dass es bald auch in seiner Nähe eine Mittelalter-Veranstaltung gibt und er sich mit Gleichgesinnten aus der Umgebung austauschen und vielleicht sogar einen eigenen Stamm gründen kann, mit dem er, wie die Wikinger, Abenteuer erleben kann. «Ein grosses Wikingerschiff selbst bauen und auf dem Bodensee damit fahren. Das wäre cool!»

Adrian Dossenbach, Kommunikationsspezialist

Wie lebte es sich früher?

Wie vertrieb man sich die Zeit an einem normalen Tag auf dem Markt? Was war in Mode? Diese Fragen beschäftigen nicht nur Archäologen und Geschichtslehrer. Wer einen Tag im Mittelalter am eigenen Leib und so authentisch wie möglich erleben möchte, kann das an einem Mittelalterfest tun. Solche Feste finden das ganze Jahr durch überall in der Schweiz statt. Auf dem Mittelaltermarkt kann man Handwerkskunst von früher bewundern und kaufen. An einem anderen Stand kann man das Handwerk selbst lernen und probieren Schuhe zu nähen oder Teller zu töpfern. Bei Turnieren wird sich im Showkampf mit Schwert und Speer gemessen. Zwischendurch wird man von Gauklern und Feuerspeiern unterhalten und am Abend gibt es Met zum Trinken und man tanzt zeitgemässe Tänze zu Musik, die auf Laute, Trommel und Flöte gespielt wird. Nach einem Tag auf dem Mittelalterfest weiss man moderne Alltagshelfer wie den Online-Fahrplan per App, die Playstation und den Geschirrspüler wieder zu schätzen.

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