Brügglis Mulchroboter Scarabaeus ist zwar noch nicht auf dem Markt, aber er gibt schon zu reden. Die Fachwelt ist auf ihn aufmerksam geworden.

«Der Mulchroboter Scarabaeus bewegt sich leicht und flach wie ein Käfer», berichtet die Bauernzeitung am 31. August 2021. Die Autorin hatte Brügglis Innovation an einer Tagung im Beratungs- und Bildungszentrum Arenenberg in Güttingen kennengelernt. Da waren Landwirte und Fachleute aus der ganzen Schweiz dabei; es ist ein jährliches Treffen, an dem Neuheiten und Herausforderungen thematisiert werden. Für Adrian Hungerbühler, Leiter von Brüggli Industrie, war dies eine ideale Gelegenheit, Scarabaeus zu präsentieren — nicht nur in trockener Theorie, sondern im Praxiseinsatz im Versuchsbetrieb. «Wir hatten ein sehr gutes Echo», sagt er. Besonders finde Anklang, dass der Mulchroboter autonom unterwegs ist und sich satellitengesteuert und mit Fühlern und Sensoren sanft vorantastet, angetrieben mit Solar- und Netzstrom, den er sich in einer kompakten Ladestation holt.

Scarabaeus ist eine sanfte Alternative für die Pflege von Plantagen und Rebanlagen. 2023 soll er im Handel sein.

Ähnlich, aber doch anders

Vergleiche mit den Mährobotern, die in vielen Privatgärten zuhause sind, liegen zwar nahe, greifen aber zu kurz. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Scarabaeus keine Drähte braucht, an denen er sich orientiert, sondern sich anhand von Satellitennavigation, Fühlern und Sensoren zurechtfindet und dabei mit jeder Runde das Gelände besser erfasst. Scarabaeus bewegt sich schonungsvoll durch die Obstplantagen und Rebanlagen; auch tiefhängende Äste kommen ihm nicht in die Quere; Früchte und Stämme bleiben geschont. Üblicherweise werden solche Arbeiten mit Traktor-Anbaugeräten verrichtet; das ist grobes Geschütz, mit Kraftstoff angetrieben und angewiesen auf eine Person, die das alles lenkt und überwacht.

Später, aber richtig

Brügglis sanfte Alternative ist im Versuchsbetrieb des BBZ Arenenberg in Güttingen seit Frühling 2022 erfolgreich unterwegs. Zudem sammelt Scarabaeus in verschiedenen Landwirtschafts- und Rebbau-Betrieben weitere Erfahrung — zum Beispiel in Sommeri oder Ottoberg. Die Marktlancierung war ursprünglich auf 2022 geplant. Es zeigte sich: Das war zu ambitioniert. Es galt zuerst die Qualität sicherzustellen und mit Lieferengpässen und den Achterbahnfahrten der Rohstoffpreise klarzukommen. Das Positive daran: Scarabaeus konnte weiter getestet und verfeinert werden. So konnte zum Beispiel genauer herausgefunden werden, wie Scarabaeus für Rebanlagen optimal auszustatten ist. Rebanlagen sind oft sehr steil angelegt; das stellt besondere Herausforderungen an den Raupenantrieb und die Beschaffenheit der Raupen-Riemen.

Zeit ist Geld, und so liest und hört man immer wieder von Produkten, die im Eiltempo auf den Markt geschoben werden. Auf dem Buckel von Anwendern, die sich früh für neue Produkte entscheiden, finden dann die letzten Tests und Verbesserungen statt. Brüggli Industrie geht mit Scarabaeus einen anderen Weg. Er kommt erst auf den Markt, wenn er reif ist. «Es war zwar ein Rückschlag», sagt Adrian Hungerbühler, «als wir uns eingestehen mussten, dass wir 2022 noch nicht auf den Markt konnten, aber nun blicken wir voraus.»

Kommen alle Teile rechtzeitig?

Scarabaeus soll ab Sommer 2023 erhältlich sein. Immer wieder treffen Anfragen von Landwirten ein, die vom neuen Produkt gelesen oder gehört haben. Und bereits finden Gespräche mit potenziellen Vertriebspartnern statt. Scarabaeus soll über den Fachhandel erhältlich sein. Für Marketingleiter Dave Fischer bleiben die unberechenbaren Lieferketten eine Herausforderung. «Auf Elektronik-Teile, zum Beispiel, müssen wir bis zu zwölf Monate warten, und nicht mal dann haben wir Gewähr, dass es wirklich klappt mit der Lieferung.»

Ziel: 2023 im Handel

So kostet die Arbeit an Brügglis jüngster Innovation nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Nerven. Zudem ist ein Erwartungsdruck spürbar: Die Finanzlage ist angespannt; auf Scarabaeus ruht die Hoffnung, dass sein Marktstart möglichst bald zu einer Entspannung beitragen kann. Die Arbeiten an einer Vorserie laufen, und nächstes Jahr sollen mehrere hundert Exemplare im Fachhandel verfügbar sein. «Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht», sagt Dave Fischer, «Kinderkrankheiten konnten auskuriert werden, nun sind wir am Start mit einem ausgereiften Produkt.» Es sei Neuland gewesen, ein komplett neues Produkt und neue Märkte. Und doch könne man sich auf reiche Erfahrung berufen, besonders was die Vertriebswege und den internationalen Warenverkehr betrifft; da verfügt Brüggli Industrie über viel Wissen und gute Kontakte im Zusammenhang mit der 4pets-Hundeboxen-Produktion.

Die Vorzeichen sind gut, ein positives Zeichen in turbulenten Zeiten: Scarabaeus funktioniert, die Fachwelt und Landwirte warten auf ihn, und bereits haben potenzielle Vertriebspartner ihr Interesse bekundet. Das Marktpotenzial ist greifbar, die Qualität stimmt. Scarabaeus soll möglichst bald losrollen, um Brüggli ein Stück Unabhängigkeit zu sichern.

Michael Haller, Leiter Kommunikation & Kultur, Mitglied der Geschäftsleitung

Scarabaeus: pflegeleicht und lernfähig

mha. Speziell an Scarabaeus ist, dass er ohne verschmutzungsanfällige Kamerasysteme und kostspielige Laserscanner auskommt. Scarabaeus nutzt präzise Satellitennavigation, Berührungssensoren und Gyroskop, um sich in Plantagen und Rebanlagen zu orientieren; so fährt er zuverlässig den Baumreihen entlang. Er lernt bei jeder Fahrt die Position der Baumstämme, Hindernisse und Zäune in der Parzelle besser kennen. Die Fahrgenauigkeit steigt damit von Einsatz zu Einsatz.

Praktisch für den Nutzer: Scarabaeus benötigt nur wenig Aufmerksamkeit; die zu bearbeitenden Flächen sind rasch definiert und eine Fahrstrategie wird vom System automatisch generiert. Der Mulchroboter lädt sich selbständig und zeigt seine Position jederzeit auf einer Windows-10-Applikation an.

Scarabaeus wiegt etwa 120 Kilo, seine Dimensionen entsprechen ungefähr der Grösse einer Europalette. Der Verkaufspreis dürfte einem gut ausgestatteten Mittelklasse-Wagen entsprechen; das ist deutlich preiswerter als bestehende Lösungen.

«Unkompliziert und fruchtbar»

Patrick Stadler, Leiter des Schul- und Versuchsbetriebs des BBZ Arenenberg in Güttingen, arbeitet gerne mit Brüggli zusammen.

Herr Stadler, Scarabaeus ist bei Ihnen seit mehreren Monaten im Testbetrieb. Wie macht sich der Mulchroboter?
Patrick Stadler: Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich die Arbeit deutlich verbessert und Scarabaeus läuft auf dem Testgelände von rund 1,5 Hektaren einwandfrei. Die Einsatzdauer hängt von der Sonneneinstrahlung ab. Bei gutem Wetter können wir auf Solarbetrieb setzen. Wenn die Sonneneinstrahlung limitiert ist, müssen wir auf Strom vom Netz zurückgreifen.

Wie erleben Sie die Reaktionen von Landwirten?
Sehr positiv. Das Interesse ist gross.

Wie spricht Sie Scarabaeus persönlich an?
Ein durchaus gelungenes Produkt. Ich würde es begrüssen, wenn Scarabaeus auch noch andere Arbeiten verrichten könnte, zum Beispiel Erntegebinde Verteilen. Auch einen Einsatz als Trägerfahrzeug für andere Arbeiten könnte ich mir vorstellen. Die Reichweite ist bis jetzt noch nicht ausgeschöpft. Mich interessiert natürlich, wie weit dieses Gerät im Gelände kommt.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Brüggli?
Sehr unkompliziert und fruchtbar. Inputs von unserer Seite werden schnell aufgenommen und umgesetzt.

Wo sehen Sie die Chance für Brügglis neues Produkt?
Ich sehe grosses Potenzial für Scarabaeus. Wichtig scheint mir, dass der Roboter Flächen von rund acht Hektaren bearbeiten kann. Die Reichweite dürfte einen grossen Einfluss haben auf die Marktchancen von Scarabaeus.

«Das Potenzial ist da»

Rainer Mirsch, Geschäftsleiter von Brüggli, blickt der Marktlancierung von Scarabaeus mit Zuversicht entgegen.

Herr Mirsch, wie sehen Sie die Marktchancen von Scarabaeus?
Rainer Mirsch: Die Rückmeldungen stimmen mich zuversichtlich. Das Potenzial ist da. Wir haben uns fest mit den Märkten und Möglichkeiten auseinandergesetzt, gemeinsam mit unserem Partner Tribecraft AG. Würden wir die Chancen nicht sehen, hätten wir Scarabaeus nicht lanciert.

Schliesslich geht es um viel Geld.
Genau. Und mehr noch: Wir sehen nicht nur den Preis, sondern den Wert. Scarabaeus eröffnet neue Möglichkeiten, unsere Kompetenzen in einem neuen Umfeld zu nutzen.

Konkret?
Wir haben Erfahrung in der Entwicklung, in der Herstellung und im Vertrieb von Hundeboxen und Fahrradanhängern. Von unseren Produkten im Sinne der sanften und sicheren Mobilität hin zu einem Produkt, das eine sanfte Alternative in der Bewirtschaftung von Landwirtschaftsflächen darstellt, ist es ein konsequenter Schritt. Das passt alles gut zusammen und hilft uns, unseren Aktionsradius zu erweitern. Dazu kommen die agogischen Aspekte: Mit Scarabaeus und der neugeschaffenen Robotik-Abteilung eröffnen wir neue Lernfelder rund um Mechatronik und Robotik — nötig für unsere Lernenden in den mechanischen Berufen und interessant für unsere Mitarbeitenden mit Rente.

So ein aufwändiges Produkt zu entwickeln, herzustellen und zu vertreiben: Ist das nicht eine gar grosse Schuhnummer für ein Sozialunternehmen?
Brüggli ist ambitioniert; das ist seit 3 Jahren so. Wir sind marktnah, ein Teil des Marktes — und den gestalten wir aktiv mit. Dazu gehören der Innovationsgeist und der Mut, in die Zukunft zu investieren. Wir wollen das und wir müssen das. Es ist nötig, unsere agogische Mission mit wirtschaftlichen Erfolgen abzusichern. Nur so können wir die Qualität unserer Angebote gewährleisten.

Genauer bitte.
Mit dem Streben nach Marktnähe und wirtschaftlichem Erfolg gleichen wir aus, was aufgrund politischen Spardrucks und behördlichen Pauschalisierungszwangs zu kurz kommt. Einerseits betreuen wir immer mehr Menschen, die eine individuelle Begleitung brauchen. Andererseits sollen wir dies durch immer mehr Standardisierung und Pauschalisierung gewährleisten. Das ist ein Widerspruch. Die Erfahrung zeigt: Die Ausbildungs- und Integrationsarbeit gelingt, wenn wir uns auf den einzelnen Menschen einlassen können. Das ist aufwändig, aber es lohnt sich eben, wenn man’s über einen längeren Zeitraum betrachtet.

Das klingt kämpferisch.
Es ist nötig so. Wir können und wollen nicht allein auf die öffentliche Hand zählen. Wir setzen uns bewusst der Marktwirtschaft aus, weil wir ein Teil davon sind und weil es ja unsere Aufgabe ist, die Leute fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Wir brauchen einen möglichst hohen Grad an Selbstbestimmung. Das setzt Eigenverantwortung voraus. Es gehört zu den klassischen Merkmalen eines Non-Profit-Unternehmens, dass es sich auch für die Eigenwirtschaft interessiert. Das mag mit verstaubten Erwartungen an ein Sozialunternehmen kollidieren, ist aber mehr denn je ein Thema. Produkte wie Scarabaeus sind im Idealfall eine Hilfe zur Selbsthilfe: Mit ihnen sichern wir uns ab.

Sind öffentliche Gelder in Scarabaeus geflossen?
Nein. Wir haben die Finanzierung mit Bankkrediten geregelt. Wir haben uns also verschuldet, weil wir an unser Produkt glauben. Wer uns Quersubventionierung vorwirft, liegt falsch, einmal mehr.

Interview: Katja Wohlwend, Mitarbeiterin Unternehmenskommunikation

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