Fabian Flachmüller wollte Informatiker werden – koste es, was es wolle. Doch die IV legte ihm die Ausbildung zum Logistiker EBA nahe. Von der anfänglichen Enttäuschung über diesen Entscheid ist heute nichts mehr übrig.

Sieben Mal machte Fabian Flachmüller eine Informatikschnupperlehre. Selbst als die IV sich gegen eine Informatik-Ausbildung stellte, wollte er nicht aufgeben und schnupperte weiter. 2017 kam er zu Brüggli und hoffte, hier seine Wunsch-Lehre starten zu können. «Als sie auch hier Nein sagten, war ich total enttäuscht», sagt Fabian Flachmüller. Seit der Primarschule interessierte ihn die Informatik und seit der zweiten Oberstufe wollte er eine Lehre in diesem Gebiet machen. Auch seine Familie sah dort seine Zukunft. Als ihm eine Ausbildung in der Logistik vorgeschlagen wurde, waren alle enttäuscht. «Ein Lagermitarbeiter … das ist doch nichts», war das Fazit der Familie. Heute sehen sie das anders und Fabian Flachmüller sagt, dass er und seine Familie damals ein falsches Bild vom Logistikberuf hatten.

«Es ist wichtig, eine Erstausbildung zu machen – egal auf welchem Niveau.»

«Ich hatte nur von der Informatik Gutes gehört und deshalb einen richtigen Tunnelblick», sagt er. Während des Vorbereitungsjahres bei Brüggli gelang es ihm, an sich zu arbeiten und sich mit der Logistik-Ausbildung anzufreunden. Nach dieser Zeit war allerdings nicht ganz klar, ob er eine EBA- oder EFZ-Lehre absolvieren sollte. «Für mich kam nur eine EFZ-Ausbildung in Frage», sagt Fabian Flachmüller. Da war er wieder, der Tunnelblick. Da er häufig unter Energiemangel litt, entschied sich die IV schliesslich für die Ausbildung auf EBA-Niveau und Fabian Flachmüller war erneut enttäuscht. Sein damaliger Teamleiter Christian Koch ermutigte ihn. «Ich sehe viel Potenzial in Ihnen», habe er damals gesagt. «Ich merkte, dass es eigentlich vor allem wichtig war, mal eine Erstausbildung zu machen – egal auf welchem Niveau. Denn ohne kannst du auf dem Markt nicht bestehen», sagt Fabian Flachmüller.


Die Logistik-Ausbildung zu machen, war eine gute Entscheidung. Fabian Flachmüller hat, was den meisten Leuten als Asperger-Syndrom bekannt ist. Heute spricht man von einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Er hat Mühe mit unerwarteten Situationen und unstrukturierten Arbeitsabläufen. Ein Informatiker ist häufig mit offenen, unerwarteten Problemen konfrontiert, auf die er eine Lösung finden muss. In der Logistik dagegen herrschen klare Strukturen, Abläufe und Prozesse vor. Das hilft ihm. «Das war einer der Gründe, warum wir ihm den Logistik-Beruf empfohlen haben», sagt Rosmarie Anderes, Leiterin Fachstelle Berufliche Massnahmen bei Brüggli.

Die Arbeit in der Logistik ist vielseitig und macht ihm Spass.

Die Logistik gefällt Fabian Flachmüller aber nicht nur, weil sie strukturiert ist. Schnell merkte er, dass ein Logistiker weit mehr macht, als nur Lager ein- und auszuräumen. Die Arbeit ist vielseitig und macht ihm Spass. Aber der Energiemangel und die Schlafprobleme erschweren im ersten Ausbildungsjahr vieles. Er hatte Mühe, am Unterricht teilzuhaben. Immer wieder schlief er ein – und trotzdem schloss er das erste Semester mit der Note 5 ab. Er schien die Informationen im Schlaf über das Gehör aufzunehmen. Selbst die Staplerprüfung schaffte er im ersten Anlauf, durfte diesen jedoch wegen der Gefahr, während des Fahrens einzuschlafen, bald nicht mehr nutzen. «Ein Logistiker ohne Stapler ist wie ein Fotograf ohne Kamera. Das geht einfach nicht. So jemand wird nicht eingestellt», sagt Fabian Flachmüller.


Heute muss er sich darüber keine Sorgen mehr machen – er darf sogar mit dem Lieferwagen fahren. Und auch mit dem Energiemangel hat er nicht mehr zu kämpfen. Zu verdanken hat er das einem Sturz im vergangenen Jahr. Es war ein Morgen wie jeder andere gewesen, aber auf einmal kippte Fabian Flachmüller nach vorne und schlug mit dem Gesicht auf die Tischkante – und blieb bewusstlos auf dem Boden liegen. Als er wieder zu sich kam, war er wie ausgetauscht. Er sprühte vor Energie und ging jeden Tag voller Tatendrang zur Arbeit. Er fühlte sich gut und konnte nicht verstehen, warum ihn seine Kollegen und Teamleiter immer so besorgt ansahen. «Sie sagten mir, ich sehe nicht gut aus. Ich solle zum Arzt gehen», sagt Fabian Flachmüller. Es stellte sich heraus, dass er die Nase gebrochen hatte. Dass dies der Anfang eines Neubeginns war, ahnte niemand.

«Es ist nicht fertig, nur, weil man ein Problem hat. Man muss weitermachen.»

Fabian Flachmüller merkte, dass sich etwas verändert hatte. Er war konstant auf Adrenalin und lerne pausenlos durch. Pro Tag schlief er höchstens eine Stunde. Er war in eine Manie gerutscht und wollte nur noch arbeiten. Doch dann kam der psychische Sturz. Er fiel in eine Depression. «Mir wurde gesagt, dass ich in eine Klinik gehöre», sagt Fabian Flachmüller. Weil er nicht einschlafen konnte, mussten ihm die Ärzte starke Schlafmittel verabreichen. Seine schulischen Leistungen nahmen ab. Die IV informierte ihn, dass sie die Massnahme abbrechen müsste, wenn es so weitergehe und er nicht mehr zur 100-prozentigen Leistungsfähigkeit zurückfinde. Ein Besuch beim Nasen-Ohren-Arzt stellte ihn vor eine weitere Herausforderung. «Sie atmen ja gar nicht richtig», sagte dieser zu ihm. Und schuld daran sei nicht der Nasenbruch, sondern, dass seine Nasenscheidewand seit der Geburt krumm sei, erklärte der Arzt. Er müsse das operieren.


Eine Operation bedeutete für Fabian Flachmüller finanzielle Schwierigkeiten. Denn die SUVA und die Krankenkasse stritten sich um die Übernahme der Kosten. Am Ende hiess es, dass er einen Teil selbst bezahlen müsse. Trotzdem entschied er sich für die Nasenoperation – und sie veränderte sein Leben für immer. Während der Anästhesie wurde festgestellt, dass Fabian Flachmüllers Blut lediglich eine Sauerstoffsättigung von 60 Prozent aufwies. Der Normalbereich liegt zwischen 94 und 98 Prozent. Eine Sättigung unter 70 Prozent gilt als hoch kritisch. Dass er mit einer solch tiefen Sauerstoffsättigung zur Arbeit und in die Schule gehen konnte, war für die Ärzte ein Rätsel. 19 Jahre hatte Fabian Flachmüller so gelebt und immer gedacht, dass allein sein psychischer Zustand für all die Strapazen verantwortlich war. «Es war gut zu wissen, dass es nicht nur an der Psyche lag, sondern auch am Körper», sagt er.

«Fokussiert euch nicht nur auf den ersten Eindruck. Seid offen.»

Dass er trotz allem nie aufgegeben hat, macht ihn stolz. «Es ist nicht fertig, nur, weil man ein Problem hat. Man muss weitermachen und kämpfen», sagt er. Seit der Operation ist Fabian Flachmüller wieder 100 Prozent leistungsfähig und seine Sauerstoffsättigung ist fast ebenso hoch. «Jetzt zeige ich, was ich kann. Und ich darf auch mehr Verantwortung übernehmen», sagt er. Seine Erfahrungsnote stieg von einer Vier auf eine Sechs. Er ist wacher, fühlt sich fit und hat viel Energie. «Ich lerne jetzt viel nachhaltiger. Vorhin habe ich nach der Prüfung alles wieder vergessen. Jetzt kann ich die Dinge verknüpfen und auch später noch wiedergeben», sagt er. Ein weiteres Erfolgserlebnis: Er ist selbständiger geworden und kann in einer eigenen Wohnung leben. Das Betreute Wohnen braucht er nicht mehr. Und: Diesen Sommer schloss er seine EBA-Ausbildung erfolgreich ab. Zu Ende war sein Weg damit aber noch nicht.


Nach den Sommerferien startete er bei Brüggli in die verkürzte Ausbildung zum Logistiker EFZ – eine Besonderheit, denn normalerweise spricht die IV keine Zweitausbildung im geschützten Rahmen aus. «Wegen der Corona-Krise hatten wir zum Teil Schwierigkeiten, unsere Lernenden extern zu platzieren», sagt Rosmarie Anderes. Ziel ist, dass Fabian Flachmüller wenigstens das zweite Ausbildungsjahr im ersten Arbeitsmarkt absolvieren kann. «Ich bin Brüggli und der IV sehr dankbar, dass ich jetzt noch eine EFZ-Ausbildung anhängen darf», sagt er. Was danach sein wird, dafür ist Fabian Flachmüller offen. Als er in der Logistik angefangen hatte, interessierten ihn nur Autoteile. «Ich habe aus dem Tunnelblick herausgefunden und bin nun bereit für alles.» Zukünftigen Lernenden will er mitgeben, dass man sich nicht auf etwas versteifen soll: «Fokussiert euch nicht nur auf den ersten Eindruck oder darauf, was andere sagen. Habt einen Plan B und seid offen für anderes.»

Larissa Herzog

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