Den Alltag hinter sich lassen, abschalten und in eine andere Welt eintauchen: So beschreibt Lea Keller das Erlebnis, wenn sie den Pinsel in die Hand nimmt und zu malen beginnt.

Bereits mit zehn Jahren hat die heute 25-Jährige gemerkt, dass ihr das Malen liegt. Mit einer kurzen Unterbrechung gehört es seither zu einem fixen Bestandteil in ihrem Leben. Ein bis zwei Mal pro Woche fährt sie ins Atelier, wo sie sich mit Ihresgleichen trifft: mit Menschen, die ihre Leidenschaft teilen. In ihrer Gesellschaft fühlt sie sich wohl und verstanden.


Die Sujets für ihre Bilder wählt Lea meistens spontan aus, zum Beispiel aus einem Buch oder von einem Foto. Es sind realistische Motive wie Landschaften, Blumen oder Tiere. Für den Betrachter mag sich die Verbindung zwischen der Malerin und ihren Bildern nicht direkt erschliessen. Für Lea jedoch hat jedes Werk eine Bedeutung, denn es bildet eine gewisse Situation ihres Lebens ab.

«In jedem Bild sehe ich eine Situation meines Lebens.»

Auch Jahre später erinnert sie sich beim Betrachten noch genau an die Lebensumstände und die entsprechenden Gefühle. Auch Bilder, die aus schwierigen Situationen entstanden sind, geben ihr im Nachhinein ein gutes Gefühl: «Ich blicke zurück und realisiere, dass ich diese oder jene Schwierigkeit gemeistert habe. Das macht mich stolz.»


Das Malen hat Lea generell zu einem grösseren Selbstbewusstsein verholfen. Wenn es um ihre Bilder geht, geht sie zwar hart mit sich ins Gericht. In ihren kritischen Augen prägt Fehlerhaftes noch lange ihr Urteil – bis mit der Zeit die Erinnerung ans Original verblasst. Trotzdem anerkennt Lea heute, dass sie ein gewisses Talent besitzt. Sie kann etwas und unterscheidet sich in dieser Fähigkeit nicht im Geringsten von einem Menschen, der sich normal fortbewegen kann. Das tut gut und schafft Normalität.

«Ich bin auch nur ein Mensch. Einfach mit einer anderen Fortbewegungsart.»

Lea ist ausgebildete Arztsekretärin. Eine Anstellung im ersten Arbeitsmarkt war ihr jedoch bisher verwehrt. Seit drei Jahren ist sie nun bei Brüggli und unterstützt die Arbeitsassistenz in der Administration – nach wie vor mit einem klaren Ziel vor Augen: eines Tages als Arztsekretärin in einem Spital zu arbeiten.


Die junge Frau drängt sich nicht gerne in den Vordergrund. Es war ihr dementsprechend auch ein Anliegen, dass es in diesem Beitrag um ihre Bilder und nicht um sie geht. Lange Zeit hat sie nur für sich selbst gemalt, als eine Art Ausgleich zum Alltag, vergleichbar mit sportlichen Aktivitäten. Lea nennt es geistiges Auspowern.

«Egal in welcher Stimmung ich starte, nachher fühle ich mich immer besser.»

Nach und nach habe sie aber gemerkt, dass ihre Bilder auch bei den Mitmenschen Anklang finden und positive Reaktionen auslösen. Seit einem knappen Jahr zieren einige ihrer Bilder die Büroräume der Arbeitsassistenz. Nach 15 Jahren Malerfahrung und einigen Überredungskünsten von Menschen aus ihrem Umfeld ist Lea letztes Jahr endgültig über ihren Schatten gesprungen: Vor Weihnachten präsentierte sie ihre Bilder zum ersten Mal öffentlich. «Es war einfach genial», schwärmt sie. «Sehr viele Leute haben sich für meine Bilder interessiert. Es ist mir sogar gelungen, die Komplimente anzunehmen.»


Lea bleibt sich selber treu. Auch wenn sie mittlerweile ihre Malleidenschaft auf Facebook und Instagram präsentiert und hin und wieder auch auf Auftrag Bilder malt, kommt nur auf die Leinwand, was ihr selbst zusagt. Wichtig ist ihr auch, genügend Zeit zu haben, denn Termindruck ist Gift für einen kreativen Prozess wie das Malen. Ein Bild wegzugeben, das von
Anfang an für jemand anderes bestimmt war, fällt Lea wesentlich leichter,als sich von früheren Werken zu trennen. «An diesen Bildern hängen zu viele Erinnerungen.» Nur bei einzelnen kann sie sich vorstellen, sie in ein neues Zuhause zu geben.

«Ich male nur Motive, die mir selber zusagen.»

Vor einigen Jahren hat sie ein paar bestehende Bilder verkauft, um sich einen Traum zuverwirklichen: «Ich habe mir einen Monoskibob gekauft.» Mit ihm besuchte sie regelmässig Sportcamps von PluSport, dem Dachverband des schweizerischen Behindertensportes, und saust nun jedes Jahr im Winter mit einem Skilehrer aus einer der Paraplegikervereinigung angeschlossenen Skischule die Pisten runter.


Weshalb malt Lea eigentlich nicht zu Hause? Wäre das nicht praktischer?
Einerseits, weil es aufwendig ist, alle Utensilien herzurichten und die Umgebung zum Schutz vor Malflecken abzudecken. Zudem würde auch der soziale Austausch mit anderen fehlen. Andererseits würde sie zu Hause zu viel Zeit vor der Staffelei verbringen und sich in endlosen Korrekturen verlieren. «Im Atelier kann ich besser zum Abschluss kommen. Da sagt mir die Zeichenlehrerin, wann’s genug ist», sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Sarina Neuhauser

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