Wie können Menschen nach einer psychischen Krise in den Arbeitsalltag zurückfinden? Integrationsmassnahmen bieten eine Möglichkeit. Stufenweise und individuell kann die Veränderung gelingen.

Ich stand mitten im Leben. Jung, gut ausgebildet, ich fühlte mich dazugehörig. Mit Leidenschaft arbeitete ich als Arbeitsagogin und engagierte mich für junge Menschen in schwierigen Verhältnissen. Bis einfach nichts mehr ging. Mein Körper war erschöpft und emotional fühlte ich mich stumpf und überfordert. Ich hatte Schwierigkeiten, meinen Alltag zu gestalten und morgens überhaupt die Motivation aufzubringen, zur Arbeit zu gehen. Ich verlor die Arbeitsstelle, da ich die Leistung nicht mehr erfüllen konnte. Dann folgte der stationäre Klinikaufenthalt. Insgesamt war ich sechs Monate weg. Ich hatte bereits früher mit Belastungen zu kämpfen, habe es trotzdem geschafft, mehrere Ausbildungen zu absolvieren, zu arbeiten, meinen Freundeskreis zu pflegen und den Alltag selbständig zu bewältigen. Trotzdem war mein Leben komplett aus der Spur geraten. Nach längerer Stabilisierungsphase entschied ich mich, eine neue Richtung einzuschlagen. Eine Anmeldung bei der IV-Stelle war notwendig. Ich bekam die Möglichkeit, eine Integrationsmassnahme bei Brüggli zu absolvieren. Plötzlich sass ich auf der anderen Seite und wurde zur Klientin.

«Es kann jeden treffen. Deshalb sind individuelle Lösungen gefragt.»

Integrationsmassnahmen (IM) werden von kantonalen IV-Stellen zugesprochen. Sie dienen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung im ersten Arbeitsmarkt. Die Massnahme richtet sich Schrittweise zum Neubeginn vorwiegend an Personen mit einer psychischen Problematik und einer daraus bedingten Arbeitsunfähigkeit. Voraussetzung für die Teilnahme ist eine Anwesenheit am Arbeitsplatz von mindestens zwei Stunden täglich an vier Tagen pro Woche. In der Abteilung IM bei Brüggli sind die Teilnehmenden zwischen 17 und 60 Jahre alt und befinden sich in verschiedenen privaten und beruflichen Umständen. Sie sind für den Moment vom Weg abgekommen. Die einen sind bereit, die Chance zu packen, andere tun sich schwer. Ein Nebeneinander von Trauer und Hoffnungslosigkeit sowie Perspektive und Mut. Vom Mathematiker über die Pflegefachfrau zum Elektriker oder der Sozialarbeiterin, das ganze Spektrum ist vorhanden. «Es kann jeden treffen», sagt Elisabeth Büche, Bereichsleiterin IM. In der Gesellschaft ist der Gedanke weit verbreitet, dass Unterstützung Schwäche bedeutet. Diese Haltung kann zutreffen und ist verständlich. Doch das Team der IM bei Brüggli möchte die Teilnehmenden darin unterstützen, die Krise auch als Chance zu sehen. «Wir arbeiten mit den Teilnehmenden an einer Basis und wollen ein Sprungbrett bieten. Der Absprung in den ersten Arbeitsmarkt soll das Ziel sein», sagt Nadja Stocker, Sozialarbeiterin.


Nebst Elisabeth Büche sind fünf weitere Coaches vor Ort. Die gelernte Ergotherapeutin, Bibliothekarin, Mutter von fünf Kindern und ausgebildete Fachperson im sozialen Bereich ist erste Ansprechperson für ihr Team. Zeitgleich begleitet sie Teilnehmende in Belastbarkeits- und Aufbautrainings sowie in Potentialabklärungen. In Wochengesprächen bespricht sie konkrete Ziele mit den Klienten oder entwickelt Arbeitsaufträge wie Kartenproduktionen, Dekorationen oder PC-Arbeiten. «Die Aufträge sind individuell auf die Personen zugeschnitten», sagt Elisabeth Büche. Somit können unterschiedliche Kompetenzen für den ersten Arbeitsmarkt trainiert werden wie Teamfähigkeit, Ausdauer oder Genauigkeit. Sie ist zudem zuständig fürs Berichtswesen und die Auftraggeber und trägt die Verantwortung für den Prozessverlauf. Auf die Frage, wie sie mit diesen Aufgaben jongliert, meint sie lächelnd: «Ich bin eine beständige Person.» Zeit mit der Familie und Freunden geben ihr den Ausgleich. Bei der Arbeit stehen Qualität und individuelle Lösungen zuoberst und zeichnen den Bereich aus. Die Nachfrage ist gross, es gibt Wartezeiten.

«Eine Krise kann zu einer Chance werden. Doch der Weg dorthin ist mühsam.»

In den verschiedenen Arbeitsprojekten entstehen Ideen, Prototypen und Produkte. Simon Zingg, Lehrer und psychosozialer Berater, kann sich gut vorstellen, mit den Projekten mehr nach aussen zu treten. «Die Zusammenarbeit mit kleineren Manufakturen könnte Anklang finden und eine Brücke bilden.» Meistens treten auch Alltagsthemen auf, zum Beispiel die Bewältigung des Arbeitsweges, gesunde Ernährung oder Bewegungsangebote. Wenn Nadja Stocker ein weiteres Projekt einführen könnte, wünschte sie sich ein zusätzliches Modul mit dem Namen «Alltagscoaching». «Damit berufliche Integration langfristig gelingen kann, könnte das Erfolgsmodell die Annäherung von sozialer und beruflicher Begleitung sein», sagt auch Elisabeth Büche.


Ich habe es geschafft. Trotz innerer Widerstände bin ich nun seit sieben Monaten in der IM und hoffentlich bald bereit, um im ersten Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. Ich war geplagt von Versagensängsten, Motivationsproblemen und wenig Selbstvertrauen aufgrund meiner Erfahrung beim letzten Arbeitgeber. Durch das Akzeptieren der jetzigen Situation und dem bewussten Entscheid, den Willen zur Veränderung aufzubringen, habe ich meine Präsenzzeit schrittweise erhöhen können. Das Schlimmste an allem ist die Ungeduld. Veränderung braucht Zeit. Das habe ich hier gelernt. Ich darf mir Zeit nehmen, ausprobieren und mir bewusstwerden, dass ich bereits über viele Fähigkeiten verfüge. Die grösste Herausforderung ist für mich, Erlerntes umzusetzen. Dabei helfen mir die Arbeitseinsätze in der Unternehmenskommunikation sehr. Ich bin auf dem Weg und das ist gut so.

Diesen Beitrag hat eine Klientin in einer Integrationsmassnahme im Rahmen eines Praktikums in Brügglis Unternehmenskommunikation geschrieben. Sie möchte anonym bleiben.

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